Am 31. Oktober 2024 gab das Ania Paz Trio ein Konzert in der Kunstfabrik Schlot in Berlin-Mitte. Die Pianistin und ihre beiden Mitspieler waren vertraut mit den Menschen und Räumen im Schlot, alles wirkte selbstverständlich. Und ihr Konzert war gut besucht, einige Gäste kamen sogar zum ersten Mal!

Als Ania Paz am Klavier, Christoph Hillmann am Schlagzeug und Carmelo Leotta am Bass mit dem ersten Set begannen, eröffneten sie – vielleicht besonders aus Berliner Sicht – „optimistische“ Klangwelten im Stil eines zeitgenössisch, experimentellen Jazz voller afro-lateinamerikanischer Energie. Getragen von zuverlässig swingenden Rhythmen, die sich kleine Wechsel erlauben konnten, reagierte die Rhythmusgruppe dynamisch und sensibel aufeinander. Ihr Zusammenspiel vermittelte eine entspannte Atmosphäre.

Einfach ist an der komplexen Musik dieses Trios allerdings nichts. Die Kompositionen liefert Ania auf der Basis von Jazz, klassischer und zeitgenössischer europäischer Musik, inspiriert durch unterschiedlichste lateinamerikanische Stilistiken, darunter auch Tänze. Sie sind Rhythmus-betont, vielseitig und sowohl emotional als auch intellektuell. Das Spiel bereichern Christoph und Carmelo, geschult durch ihre profunden theoretischen Kenntnisse und ihre eigene jahrelange Praxis. Sie erweitern die Konzepte durch innovative Interpretationen. Gemeinsam verfügen die Drei über einen derart reichen Erfahrungsschatz, dass sie leicht und effektiv in Fragen der Musikstile, der Tempi oder der Lautstärke changieren können. Ihr Zusammenspiel ergänzen sie mit Soli, bzw. das Haupt-Thema mit Variationen oder Einspielungen kurzer verspielter Melodien und Rhythmen aus aller Welt.

Solo vor Piano
Ania Paz – Foto Maximilian Winkler

Ania Paz

Die Pianistin und Komponistin spanisch-peruanischer Herkunft wurde in Lima geboren. Aufgewachsen ist sie mit Klassischer und Tanz-Musik aus Europa, zugleich umgeben von peruanischen Klängen. Ihre Mutter führte sie über Balletts und Ausstellungen früh in die kulturelle Szene vor Ort ein. Nachdem Ania bereits als Kind erste eigene Stücke komponiert hatte, studierte sie Klassische Musik und Jazz in Deutschland in den USA. Ihre Dissertation verfasste sie auf dem Gebiet der Musiktheorie in Mexiko. Immer schon hatte sie ihren eigenen Kopf und eine starke Persönlichkeit. Ihre Neugier, Offenheit und die Lust, Grenzen zu überschreiten, im physischen wie im musikalischen Sinne, trieben sie von einem „multikulturellen“ oder auch „multidisziplinären“ Projekt in das nächste. Lange bewegte sie sich in den Ländern Südamerikas und der Karibik und sog dort unter anderem Festejo, Walzer, Salsa und Merengue auf. Auf jeder Tournee realisierte sie eine spezifische Musik, die dem jeweiligen Land entsprach.

Ania Paz und Berlin

Deswegen ist es sicher nicht zuletzt der Kosmopolitismus, der sie nach Berlin gezogen hat. Dann entdeckte sie das Ausmaß das Maß an Freiheit, das sie als unabhängige Frau hier leben kann, und war angekommen! Vielen anderen vor ihr ist es genauso ergangen. Das Thema der „Frauen in der Musik und im Jazz“ liegt ihr besonders am Herzen. Seit 2021 ist sie Dozentin an der Fakultät Musik der Universität der Künste und hat ihre beiden Freunde und Begleiter gefunden und wiedergefunden. Mit ihnen initiierte sie das Berliner Ania Paz Trio. Der Bassist Carmelo Leotta und der Schlagzeuger Christoph Hillmann teilen ihren Drang, sich ständig weiter zu entwickeln. Und die Drei können einander vertrauen.

Lagen Anias Inspirationen ursprünglich bei Sergei Prokofjew, Franz Liszt oder Maurice Ravel, kamen später auch Steve Coleman oder Bill Evans hinzu. Und der Jazz brachte sie zurück zur Populärmusik. Darüber hinaus war die Weltbürgerin in ihrem Leben so viel unterwegs, dass sie immer wieder neue Klangräume fand und deren Melodien und Rhythmen in sich aufnahm. Stets auf der Suche nach Innovationen, konnte sie sie in ihrer eigenen Musik verarbeiten. Diese soll den Dialog zwischen den Kulturen wiedergeben. Das Bedürfnis entwickelte sie wohl schon in ihren ersten Begegnungen mit den peruanischen, später besonders den afro-peruanischen, Stilistiken und Tänzen, die sie nicht wieder losgelassen haben. Mit Hilfe deren folkloristischer Elemente u. a. gelingt es ihr, traditionelle Akkord-Folgen subtil und unerwartet durch experimentelle Grooves und Polyrhythmen zu erweitern. Ihr Umgang mit der Harmonik erweist sich als flexibel und spielerisch.

Songs auf deutsch zu schreiben und zu singen wäre für Ania vielleicht ein nächster Schritt, ein neues Projekt!?

Carmelo Leotta

Carmelo betont zudem, dass Melodien und Rhythmen sowieso grundsätzlich untrennbar miteinander verbunden seien. Der Bassist und Komponist italienischer Herkunft ist noch so ein Weltenbummler im eigentlichen, wie im übertragenen Sinne. Auch er bewegt sich zwischen Theorie und Praxis, ebenso wie zwischen den Musikgenres von Klassik, Pop, Rock, Jazz und nicht zuletzt dem Blues.

Ursprünglich inspirierten ihn Komponist*innen und Musiker*innen wie Antonin Dvorák, Claudio Monteverdi, Béla Bartók, Louis Armstrong oder die Beatles.

Dann brachte ihn Heavy Rock zu seinem Instrument, dem E-Bass.

Doch der Welten damit noch nicht genug, wechselte er auch seine Tätigkeitsfelder: Er besuchte eine Schauspielschule und schloss sie 1998 ab. Daraufhin zog er als Mitglied einer Comedia dell´Arte-Truppe durch die Lande, mit seinem Bass, versteht sich, und betätigte sich schließlich als Vorleser in Altenheimen.

Seit 2014 lebt Carmelo in Berlin, ebenfalls wegen der gebotenen Vielfalt der kulturellen Horizonte, insbesondere wegen der Nähe zu Osteuropa und dessen reichen Musiktraditionen. Deren Ähnlichkeiten mit den Südeuropäischen Einflüssen schließt den Kreis zu seinen eigenen Wurzeln.

Hier war und ist er tätig als Komponist und Bassist, als Bandleader und Arrangeur. Wie Ania arbeitet er in der Lehre, als Kompositions- und Improvisationslehrer für Jazz und Blues. Auf welche Weise können Harmonie-Regeln auf die Phrasierung angewandt werden? Zu den Berührungspunkten und Grenzüberschreitungen zwischen Klassik und Populärmusik forscht und lehrt Carmelo im Besonderen. Blues und Jazz eignen sich zu diesem Zweck besonders gut: Der Blues besitzt in seinem Ausdruck all die emotionale Radikalität der Populärmusik. Der Jazz profitiert wiederum sowohl von diesem emotionalen Angebot des Blues, als aber auch von dem komplexeren Gerüst der Klassik. Die harmonische Artikulation dient Carmelo als Grundlage bei seiner kompositorischen Tätigkeit, die ihre Praxis-Orientierung nie zu verlieren scheint. Die Kombination von Intellekt und Emotion in Anias Kompositionen ist somit wohl genau nach seinem Geschmack!

Christoph Hillmann

Miteinander bekannt gemacht hat die Beiden der Dritte im Bunde, der Schlagzeuger Christoph Hillmann.

Nach einem Studium des Schlagzeugs am Arnheimer Konservatorium mischt er sich seit 25 Jahren als Schlagzeuger und Komponist in den Jazz ein. Und zwar auf ganz diversen Wegen! Ob in Rundfunk-, CD- und Spiel-Produktionen oder in Zusammenhängen mit Tanz und Theater, ist er in Bewegung geblieben.

Wie die beiden Mitspieler*innen hat seine soziale Seite auch ihn zu einem Pädagogen aus Überzeugung werden lassen, in Kinder- und Jugendprojekten. Der WDR erwies sich dabei wiederholt als kooperativ. Im Jazzstudiengang an der Hochschule Osnabrück war er Dozent für Schlagzeug, Ensemble und Rhythmus, genauso wie in Workshops an Schulen und Hochschulen. Seit 2020 leitet er das kreative Tonstudio JamBoxx in Potsdam, wo er die meist jugendlichen Interessent*innen an den Aufbau, die Entwicklung und die Produktion von eigener Musik heranführt. Und ist Mitglied des Leitungsteams der Städtischen Musikschule Potsdam „Johann Sebastian Bach“.

SeinSpiel ist sowohl von Einflüssen verschiedener Jazz- und anderer Musik-Traditionen als auch der Avantgarde geprägt. Die auf dem Label ECM Records veröffentlichte Musik hat für ihn Maßstäbe gesetzt. Normen und Klischees, die sich sogar schon in dem in Berlin so präsenten Free Jazz bemerkbar machen, sieht er in jeder Form selbstkritisch und kritisch. Auf ihn wirken sie schnell langweilig, ganz im Gegensatz zu den möglichen Freiheiten in der Musik! Weltmusik spielt auch in seinem Fall eine konstitutive Rolle. Wie die beiden anderen war er viel unterwegs und beteiligte sich an „multikulturellen“ Produktionen in Afrika, Asien, der Karibik oder im persisch-arabischen Raum, und er begegnete so Ania Paz. Als erfahrener Schlagzeuger nahm er sich auf internationalen Tourneen und im Zusammenspiel mit aktuellen Jazzgrößen der unterschiedlichsten perkussiven Instrumente an, auch elektronischer. Insofern hat er sich Christoph auf seinem Gebiet den Ruf eines versierten Multi-Stilisten erworben.

„Al final“

Dass Ania, Carmelo und Christoph in Berlin aufeinander getroffen sind, ist sicher kein Zufall. Wie wenig andere Orte auf der Welt steht Berlin für Freiheit, im Positiven wie im Negativen. Da die Stadt auf der kulturellen Ebene dadurch Vielfalt und Kosmopolitismus gewähren kann, hat sie das Glück, dass sich die Drei hier in die Universalität des Jazz stürzen. Im September 2023 haben sie ihre CD „Espacios“ veröffentlicht.

Damit die Szene noch lange so lebendig bleiben kann, müssen Kommerz und Haushaltskürzungen in Zaum gehalten werden! (Anm. d. A.)

https://www.youtube.com/aniapaz